Donnerstag, September 07, 2006

DAS FURCHTBARSTE DEMENTI

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© 1984 by Absalom

Während der Kommune saß Blanqui als Gefangener auf dem Fort du Taureau. Dort schrieb er die »Eternite par les Astres«. Dieses Buch krönt die Phantasmagorien des Jahrhunderts mit einer letzten, kosmischen, welche insgeheim die bitterste Kritik an den andern einschließt. Die unbeholfenen Überlegungen eines Autodidakten, die den Hauptteil der Schrift ausmachen, sind die Vorbereitung einer Spekulation, die dem revolutionären Elan des Verfassers das furchtbarste Dementi erteilt. Die Ansicht vom Universum, die Blanqui in diesem Buch entwirft, zu dem er die Daten der mechanistischen Naturwissenschaft entnimmt, ist eine wahrhaft infernalische. Sie ist zugleich das Komplement der Gesellschaft, die Blanqui an seinem Lebensabend als Sieger über sich zu erkennen genötigt war. Es ist die dem Autor selbst verborgene Ironie dieses Entwurfs, in Gestalt einer rückhaltslosen Unterwerfung unter ihre Wissenschaft die furchtbarste Anklage gegen die Gesellschaft zu erheben, die jenes Weltbild als ihre Projektion an den Himmel wirft. Die Schrift trägt den Gedanken der ewigen Wiederkunft zehn Jahre vor dem »Zarathustra« vor; kaum minder pathetisch und mit größter halluzinatorischer Kraft. Nicht triumphierend sondern vielmehr beklemmend: Blanqui geht es dabei um das Bild des Fortschritts, der als ein unvordenklich Ältestes, das im Gewand des Neuesten einherstolziert, sich als die Phantasmagorie der Geschichte selbst zu erkennen gibt. Die entscheidende Stelle lautet:
»Das ganze Universum besteht aus Sternsystemen. Um sie zu schaffen, hat die Natur nur hundert Elemente zur Verfügung. Trotz aller Erfindungskunst und trotz der unendlichen Anzahl von Kombinationen, die ihrer Fruchtbarkeit zur Verfügung stehen, ist das Resultat notwendig eine endliche Zahl gleich der Zahl der Elemente selbst. Um den Raum auszufüllen, muß die Natur ihre ursprünglichen Kombinationen und Typen ad infinitum wiederholen.
Es muß deshalb jeden Stern in Zeit und Raum unendliche Male geben, nicht bloß so, wie er einmal erscheint, sondern nach jedem Augenblick seiner Dauer von seinem Entstehen bis zu seinem Untergang. Solch ein Stern ist die Erde. Darum ist auch jedes Menschenwesen ewig in jedem Augenblick seiner Existenz. Das, was ich in diesem Augenblick in einer Zelle des Forts Du Taureau schreibe, das habe ich geschrieben und das werde ich in alle Ewigkeit schreiben: an einem Tisch mit einer Feder, in Umständen, die aufs Haar den gegenwärtigen gleichen. So ist es mit jedem … die Zahl unserer Doppelgänger ist unendlich in Zeit und Raum … Diese Doppelgänger haben Fleisch und Blut, d. h. Hosen und Überzieher, Krinolinen und Chignons. Es sind keine Phantome sondern verewigte Wirklichkeit. Eines freilich fehlt daran: Fortschritt. Was wir so nennen, ist eingemauert in jede Erde und vergeht mit jeder. Stets und überall auf den Erden das gleiche Drama, die gleiche Dekoration, auf derselben schmalen Bühne, eine brausende Menschheit, berauscht von ihrer Größe. Stets und überall hält sie sich selbst für das Universum und lebt in ihrem Gefängnis, als wäre es unermeßlich, um doch bald mit dem Erdball in den Schatten zu sinken, der mit ihrem Hochmut aufräumt. Die gleiche Monotonie, die gleiche Unbeweglichkeit auf den anderen Sternen. Das Universum wiederholt sich unendlich und tritt auf der Stelle. Unbeirrt spielt die Ewigkeit im Unendlichen stets und immer das gleiche Stück.«

Diese hoffnungslose Resignation bildet das letzte Wort des großen Revolutionärs. Das Jahrhundert hat den neuen technischen Möglichkeiten nicht mit einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zu entsprechen vermocht. So erhielten die trügerischen Vermittelungen des Alten und des Neuen die Oberhand, welche der Term seiner Phantasmagorien waren. Die von diesen Phantasmagorien beherrschte Welt ist – mit einem Schlüsselwort, das Baudelaire für sie gefunden hat – die Moderne. Blanquis Vision begreift in diese Moderne – als deren Boten die »Sept Vieillards« auftauchten – das Universum ein. Ihm wird zuletzt die Neuheit zum Attribut dessen, was dem Reich der Verdammnis angehört. So erscheinen in einem etwas früheren Vaudeville »Ciel et Enfer« die Höllenstrafen als das seit jeher Neueste, als die »peines eternelIes et toujours nouvelles«. Die Menschen des neunzehnten jahrhunderts, die Blanqui als apparitions anspricht, stammen aus diesem Bezirk.
[GS V·2, 1256-1258]


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